Darf das Leben leicht sein?

Wir sind seit ein paar Wochen in einem Ferienhaus am Meer.

Seit 5 Uhr morgens bin ich wach. Ich habe Yoga gemacht, geschrieben, bin barfuß über den noch gefrorenen Rasen im Garten gelaufen und habe die tausend Sterne und den Mond betrachtet. Danach saß ich lesend im Schaukelstuhl. Von dort sehe ich die Sonne aufgehen – ein riesiger, feuerroter Ball erhebt sich über dem Meer und taucht das ganze Zimmer in wunderbar warmes Licht.

Die Kinder wachen auf. Um 7 Uhr sind wir alle im Wohnzimmer versammelt. Ich lese den Kindern vor, die Sonne scheint uns ins Gesicht, und wir haben alle Zeit der Welt. Nichts ist für den Tag geplant. Wir dürfen einfach sein, ohne Stress am Morgen.

Mein Mann beginnt zu arbeiten, die Kinder vertiefen sich in ihr Projekt. Sie planen und malen einen riesigen Reiterhof. Etwa 50 Blatt Papier haben sie dafür aneinandergeklebt – ausgebreitet nimmt der Hof fast das ganze Wohnzimmer ein. Ich spüre die Ruhe. In mir. In ihnen.

Ich habe heute frei und bereite das Frühstück vor. Als ich vor die Tür trete, um Obst aus dem Schuppen zu holen, scheint mir die Sonne ins Gesicht. Es riecht nach frischem Gras. Die Vögel zwitschern wild durcheinander. Ein Hase hoppelt vorbei. In der Ferne höre ich das Rauschen des Meeres. Ansonsten: nichts. Kein Verkehr, keine Stimmen. Nur Natur.

Wir sind im Paradies.

Und gleichzeitig bekomme ich ein schlechtes Gewissen.
Dürfen wir das?
Ich habe mir genau so ein Leben gewünscht – und merke doch, wie tief ich geprägt bin von der Vorstellung, dass man hart arbeiten muss. Dass man sich das Glück verdienen muss. Dass man nicht einfach so in den Tag hineinleben darf.

Ich habe das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun.

Ich sehe meine Oma, wie sie mit der Hand Wäsche wäscht. Überfordert vom Haushalt, den zwei kleinen Kindern, dem ständigen Hunger. Wie sie viel lieber in ihrer Heimat wäre. Oder schreibend an der Schreibmaschine sitzen würde.
Ich sehe meine Mutter, wie sie morgens mit einem Tee und Bauchschmerzen im Bett sitzt. Angst hat, zur Arbeit zu gehen. Und trotzdem geht – wie jeden Tag.
Und ich sehe mich, wie auch ich gehe. Jeden Tag zur Arbeit.
Völlig erschöpft nach einem anstrengenden Morgen, an dem keiner das Haus verlassen wollte. Und ich die Kinder weinend zur Kita gebracht habe.

Und dann weiß ich:
Ich habe ein Muster durchbrochen.
Ich tue genau das Richtige.

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