Meine Nerven

„Das ist nicht gut für meine Nerven“, sagte meine kleine Tochter neulich. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Hatte sie das etwa von mir? Ich fragte sie, und sie lachte. Sie hätte das aus einem Buch – ach ja, die feine Stute mit den dünnen Nerven. Ich musste erleichtert mitlachen. Und doch – etwas blieb hängen. Denn ja, das ist auch mein Thema. Meine Nerven. Ich habe ein sensibles Nervensystem. Feine Antennen. Und oft, wenn im Alltag alles gleichzeitig auf mich einprasselt – das Chaos, die Geräusche, die Bedürfnisse – dann liegen sie einfach blank. Nicht in den großen Krisen. Nicht, wenn es wirklich ernst wird. Da bin ich klar, fokussiert, stark. Aber diese vielen kleinen Dinge des Alltags … sie sind wie leise Tropfen auf einen ohnehin schon vollen Becher.

Und dann höre ich mich selbst laut werden. Ich merke, wie der Ton kippt. Und manchmal kommt das Echo meiner eigenen Worte wie ein Schreck zu mir zurück: Habe ich das gerade wirklich gesagt? Ich kenne diese Sätze. Ich habe sie als Kind gehört. Nicht immer direkt an mich gerichtet, aber sie waren da. Haben Atmosphäre gemacht. Räume gefüllt. Und nun kommen sie aus meinem Mund. Es ist ein Schockmoment – und gleichzeitig eine Einladung. Hinzusehen. Hinzuhören. Was spricht da gerade wirklich in mir? Welche alte Stimme? Welche Überforderung? Welches Bedürfnis?

Manchmal ist das Genervtsein kein Zeichen von Ungeduld, sondern ein stiller Hilferuf unseres Nervensystems. Ein alter Schmerz, der sagt: „Ich bin überfordert. Ich weiß nicht, wie ich all dem gerecht werden soll.“ Und dieser Schmerz will gesehen werden. Nicht bekämpft. Nicht unterdrückt.

Ich habe begonnen, mir Werkzeuge zu suchen. Nicht, um das Genervtsein wegzumachen, sondern um es zu verstehen. Um die Verantwortung zu mir zurückzuholen. Nicht als Schuld, sondern als Kraft. Und oft gelingt es mir inzwischen, statt genervt zu sein, präsent zu bleiben. Mich selbst zu spüren, bevor ich reagiere.

Denn genau darum geht es: Nicht um perfekte Nerven. Sondern um bewusste Entscheidungen. Darum, das Muster zu erkennen – und es nicht weiterzugeben. Für meine Tochter. Für mich. Für all die Frauen vor mir, die es nicht konnten. Und für all die Kinder nach mir, die es verdient haben, dass wir es versuchen.

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